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6. Juni 1994
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Ansichten aus unserer Heimat / von Rudolf Priemer
Der Tabakschuppen in Nitzschka
Seit kurzem verlassen und verschlossen steht der abgebildete, luftige
Bau am Ortsemgang Nitzschkas.
Aus genormten Betonfertigteilen wurde er mit dem flach geneigten Dach
erbaut. Hoch ansetzende, hölzerne Lüftungsklappen ermöglichten
eine ungestört - gute Durchlüftung. Einfahrten durch hohe Holztore
lagen bei allen diesen Bauten technologisch bedingt immer in den Giebelwänden.
Ähnliche Tabakschuppen gab es im Kreis Grimma in Beiersdorf, Doma,
Golzern, Schönbach...
Das Errichten dieser Bauten begann in den 50er Jahren, als es nicht
mehr ging, den Tabak auf Hausböden zu trocknen. Zu der Zeit war es
nicht mehr möglich, sich auf die vielen fleißigen Frauen zu
verlassen, die einst Blatt für Blatt den frisch geernteten Tabak mit
der Nadel auf Tadelten und auf den einzelnen Dachböden zum luftigen
Trocknen aufhingen, ihn dort betreuten - vor allem vor dem Schimmeln bewahrten.
Danach war er vorsichtig wieder abzunehmen und zu den Zwischenlagern des
Tabakkontores zubringen. Gleichzeitigwuchsen auch die Qualitätsanforderungen,
denn „die guten Orienttabake aus den Eichenwäldern der Uckermark"
ergaben keine Qualitätstabake auf den Märkten.
Wieder einmal staatlich angestrebte Selbstversorgung - wie nach 1934
zum ersten Male in diesem Jh. -unterstützte den Anbau dieser Sonderkultur
auch auf den dafür geeigneten Böden im Muldenland.
Der rationelle Anbau dieser fremden, sehr viel Arbeit fordernden Pflanze
ging von da an auch nicht mehr ohne besondere Technik zu realisieren.
Ein wenig Tabakgeschichte
Wie manche andere Kulturpflanze verdankt Europa dieses Narkotikum den
großen Entdeckungen zu Beginn der Neuzeit. Die Pflanze wurde erstmals
1559 in Portugal als Heilmittel angebaut (die Kartoffeln reichlich 100
Jahre später). Das wunderbare .Allheilmittel „Panacee" wurde es nicht'
-Als der Gesandte des franz. Königs Heinrich II erreichte Jean Xicots
nicht die Heirat in das portugiesische Königshaus - aber die Verbreitung
der Tabakpflanze! Seit 1561 kennt man den Begriff Nicotin (das Gift Nicotin
aber wurde erst 150 Jahre später entdeckt)! Der Siegeszug dieser fein
gehäckselten Blätter zum „Tabaktrinken" war von da an nicht mehr
aufzuhalten; wie sich auch Befürworter und Verbieter jahrhundertelang
bekriegten.
Der Tabak stieg in der Gunst aller mit dem wachsenden Wohlstand Europas.
Raffinierter zubereiteter und fein geschnittener Tabakwurde ständigperfekter
in Blätter gewickelt zur Zigarre. Nach dem Widerruf der päpstlichen
Bulle durfte seit 1725 im römischen Petersdom geraucht werden. .Anfang
des vorigen Jh. wurde in unserer Region mehr Tabak angebaut als Kartoffeln
- bis eine Krankheit der fremden Pflanze einen Schlußstrich zog.
Für manchen Deutschenbestand das greifbare Ergebnis der Revolution
von 1848 im erlaubten Rauchen auf der Straße!
Die Zigaretten gibt es seit Anfang dieses Jh., damit erschloß
sich die Industrie neue Konsumenten - denn eine Frau mit einer Zigarre
war eine Ausnahme. Noch gibt es familiäre Erinnerungen an teils recht
absonderliche Praktiken des Tabakanbaues nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit
den dringend nötigen Aktionen gegen das Rauchen entgehen dem Staat
horrend hohe Steuersummen!
Aussichten
Den großen und äußerlich gut erhaltenen Tabakschuppen
in
Nitzschka mag scheinbar niemand kaufen. Nicht vorhandene Mittel und
viele nötige Umbauleistungen schließen einen Funktionswandel
dieser Bauten oft aus. Ortsfremde Investoren bauen lieber neu und spezialisiert.
Der Tabakschuppen wird „Strandgut" und erinnert
an die Zeit, da überall mit viel Initiative vieler Menschen gearbeitet
wurde. Ähnlich steht es mit vielen anderen jüngeren und jungen
ländlichen Bauten überall und nicht nur denen, die für Sonderkulturen
bestimmt waren. In vielen Fällen ist die reale Aussicht auch für
Ställe: Abriß.
Die Erfahrungen von Generationen sind kontinuierliches Ersetzen verschlissener
Teile und ständiger Funktionswandel. So ist die heute allgemein geübte
Praxis neu: Abriß an Stelle von Änderung und Samerungen. Niemand
kann sagen, wie lange es sich unsere Gesellschaft leisten kann, nur vordergründig
Summen gegeneinander aufzurechnen, die sog „Randbedingungen" dabei aber
auszulassen. Alles reduziert sich auf die Frage: Was kann man bei vertretbarem
Aufwand heute mit dem Nitzschkaer Tabakschuppen
machen?
Gute Lösungen gibt es bei der Umwandlung von „Durchfahrtssilos"
in Lagerräume. Einzelne Ställe und Hallen wurden von Wiedereinrichtern
schon anderweitig genutzt, es gibt auch gelungene Beispiele vollkommen
neuer Nutzungen. Im konkreten Falle ist ein beliebiges Lager leicht einzurichten.
Aber noch zu viel ist auch vom Grundbesitz her offen oder unklar. Jahrelang
kann der Tabakschuppen nicht so stehen bleiben, ohne daß sein Zustand
schnell schlechter wird und der Wert weiter sinkt.
Der Tabakschuppen am Ortseingang von Nitzschka wartet auf seine weitere
Nutzung. Foto: R. Priemer
Ergänzung:
Fragen an Sabine Kuschnik Brigadier der Frauenbrigade der LPG
1. Frage: wann haben Sie das Amt von Kurt Wutzig übernommen?
Antwort: 1986 hat sie das Amt übernommen
2. Frage: wann wurde das erste mal in Nitzschka Tabak angebaut?
Antwort: 1960 wurde über den Anbau von Tabak in Nitzschka gesprochen und 1962 in die Tat umgesetzt
3. Frage: wie lange existierte noch der Tabakanbau in Nitzschka?
Antwort: bis 1990, da sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland geändert haben
4. Frage: wo wurde der getrocknete Tabak hingeliefert und wie lange war die Trocknungszeit?
Antwort. nachdem der Tabak 3 Monate Luft getrocknet wurde, wurde er nach Döbeln geliefert (siehe Bild)
5. Frage: gibt es davon noch Zeugnisse in Form von Fotos und Schriften?
Antwort:
6. Frage: was machten die Frauen in der übrigen Zeit?
Antwort: die Frauen lasen im Frühjahr Steine auf dern Feldern, danach ging es zur Pflege der Rüben (Rübenhaken), im Sommer mussten Sie in den Stallungen Heu und Stroh beim abladen und lagern mit zur Hand gehen
Fotos davon aufgenommen im Sommer 2014
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