Eine Betrachtung zu seinem 200. Geburtstag am 29. Januer 1963
von Renate Sturm Franke
Im Vorwort zu Seumes „Kurzem Pflichten-und Sittenbuch für Landleute", das wenige Zeit nach seinem Tode erschien, heißt es: „Was Seume als Schriftsteller und Dichter seinem Vaterlande war, das ist allbekannt; was er als anspruchsloser, edler Mensch, als biederer, treuer Freund seinen Freunden war, das wissen diejenigen, deren Zirkel er durch seine einfache, aber herzliche und gewichtvolle Rede verschönte." So möchten auch wir bei den ständigen Lesern unseres Heimatkalenders, des RUNDBLICKS und wohl der gesamten heimatgebundenen Presse im Leipziger Land voraussetzen, daß jener furchtlose und aufrechte Demokrat und Patriot durch seine biographischen Schriften, Reisebeschreibungen und nicht zuletzt durch die mündliche Überlieferung hinreichend bekannt und vertraut ist. Unsere Aufgabe sei es darum heute, einmal aus Seumes und seiner Freunde Feder nur das zu veröffentlichen, was seine Bindung an manche Stätte im Umkreis von Grimma, Wurzen und schließlich im Oschatzer Kreis bezeugt.
NITZSCHKA
Die Anwesenheit Seumes in Nitzschka wird durch eine Bleistiftzeichnung
dokumentiert, die z. Z. im Original unauffindbar ist, jedoch rechtzeitig
fotografiert wurde (s. Bild). Wenn das Bild rechts der Mulde die Schiffmühle
mit Mahlhaus von Unternitzschka zeigt, so ist es erst nach 1825 entstanden,
in welchem Jahre die Mühle konzessioniert worden ist. Sie wurde 1874
nach Walzig (linkes Ufer) verlegt und dort 1886 umgebaut. Im Vordergrund
ist der Kahn der viel älteren Fähre zu sehen. Und in diesen Kahn
ist Seume nach dem von Reinhardt (Rom, 1802) stammenden Original hineinkopiert
worden. Darunter ist handschriftlich zu lesen: J. G. Seume 1798. Eine vielleicht
etwas überstürzte Heimatliebe hat nun aus zwei Tatsachen eine
entstehen lassen, die zu sichten hier unsere Aufgabe sei. Es wurde jahrzehntelang
berichtet, Seume habe in Obernitzschka den Dichter
Siegfried August Mahlmann aufgesucht, dem das dortige Rittergut gehört
habe. Das kann nicht stimmen. Mahlmann übernahm dieses erst 1814 (4
Jahre nach Seumes Tod). Auch als Schüler des Rektors Korbinsky (dem
Seume so viel verdankte) ist Mahlmann nicht mit Seume bekannt geworden,
ebensowenig während seiner (Mahlmanns) Zeit auf der Grimmaer Landesschule.
Die Beziehungen Seume-Mahlmann dürften nicht vor 1801 begonnen haben, vielleicht aber erst 1805, als Mahlmann die Redaktion der „Zeitung für die elegante Welt" übernahm. |
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Planer-Reißmann a. a. 0., S. 554: Mahlmann veröffentlichte
einen ausführlichen Bericht über die Feierlichkeiten am Neujahrstage
1807, worin er sich in Lobeserhebungen Napoleons erging und mit Befriedigung
von der Begeisterung sprach, mit der das Volk in den Straßen... den
neuen Verhältnissen zugejubelt haben sollte. Als Seume davon hörte,
wollte er fast verzweifeln. Er konnte nicht begreifen, wie man ein Freudenfest
zu feiern vermochte, während im Osten des Vaterlandes ein deutscher
Bruderstamm mit Aufbietung seiner letzten Kräfte gegen den fremden
Eroberer kämpfte „Erhard und Mahlmann sollen, wie ich höre sehr
französirieren und bonapartisieren und unsere deutschen Landsleute
helfen ihnen durch ihre Weggeworfenheit treulich ...", Seume hat nach dem
April 1807 in Mahlmanns Zeitung nichts mehr veröffentlicht; und sich
— Mahlmanns politischer Gesinnung zufolge — von dieser abgewandt. Mahlmann
hat ihm dies nicht nachgetragen und 1810 in dieser „Zeitung f. d. elegante
Welt" eine Reihe von ehrenden Nachrufen auf Seume abgedruckt.
Karl August Böttiger, Rektor in Weimar. führt auch im
Juli 1810 Worte Mahlmanns über Seume wie folgt an: „Seumes Stoicismus
ist oft nur Maske, hinter welcher das lenkbarste Herz versteckt ist, und
seine Rauheit ist immer nur das Echo des Tons, mit dem man ihn in der Jugend
angesprochen hatte . . . Was an ihm hochzuschätzen, ist seine gediegene
Rechtlichkeit".
Mahlmann war gebürtiger Leipziger, als Erzieher und Interessent
an Naturwissenschaften, Jura, Sprachen, Dichtkunst in Verbindung mit Jean
Paul und Chn. Felix Weisse. lernte ferne Länder kennen, bereiste das
nördliche Europa, insbesondere Rußland, pflegte selbst die Dichtkunst
und hielt als Sohn einer Wurznerin dem Muldenland die Treue. Die Überfahrt
Seumes von Walzig nach Nitzschka kann also auch in Beziehung zu einem Treffen
mit Mahlmann in Wurzen gestanden haben. Sicher ist nur, daß Seume.
der das Grimmaer Land weithin nur zu Fuße eroberte, diese Fähre
benutzt hat. Und an ein solches Übersetzen über die Mulde im
Jahre 1798 mögen sich bestimmte Erinnerungen geknüpft haben,
in deren Folge die Zeichnung entstand.
Wenig konnten wir im Grunde genommen aus der Feder des großen
Naturfreundes Seume erfahren, was uns die Natur des Grimmaer Landes vor
Augen führte. Verwunderlich ist es nicht, denn in dieser Natur haben
ihn eh und je die Menschen selbst am meisten interessiert. Ihnen galt seine
Liebe; ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, war sein Ziel. Und was
er diesen Menschen bedeutete — Freunden wie Fremden — das drückt vollendet
der Stein im Hohi-istädter Garten aus, den man ihm zu Gedenken mit
einem Schillerwort versah:
„Eil', in die Furche der Zeit Gedanken und Taten zu streu'n,
Die, von der Weisheit gesät, still für die Ewigkeit blüh'n!"
Anm.: Der gewiegte Kenner von Seumes Schriften und Briefen wolle
mir verzeihen, daß ich um der Volkstümlichkeit des gebotenen
Textes willen hie und da ein Wort oder einen halben Satz weglassen mußte.
aus Heimatkalender 1963