65 Jahre Bodenreform im Muldental

Die Vorgeschichte der Bodenreform

Reichssiedlungsgesetz von 1919 brachte keinen befriedigenden Wandel
Die Bodenreform ist keine Erfindung des Jahres 1945. Reformbestrebungen gibt es schon seit Jahrhunderten. Es geht immer um die Neuaufteilung des Grundbesitzes, den besitzlosen Bürgern Land zu übergeben, um ihre Existenz zu sichern, sie sesshaft zu machen und damit der Landflucht entgegen zu wirken. So wurden durch die Französische Revolution 1789 alle Klöster enteignet. Die Nationalisierung des Bodens beschloss die erste demokratisch gewählte Volksvertretung Russlands am 18. Januar 1918 einstimmig. Nach diesem Beschluss folgte das Gremium nicht dem kommunistischen Programm der Bolschewiki und wurde darauf von Lenin auseinander gejagt. In Deutschland bemühte man sich mit wechselndem Erfolg um eine Reform des Bodenrechts. Weder die verschiedenen Siedlungsbewegungen - innere Kolonisation ab 1886 - noch das Reichssiedlungsgesetz von 1919 auf Grundlage des Artikels 155 der Verfassung der Weimarer Republik brachten einen befriedigenden Wandel. In Deutschland wurden so nur 124 000 Siedler- oder Bauernstellen geschaffen. Bezeichnend ist, dass erst die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges mit dem Potsdamer Abkommen in allen Besatzungszonen eine Bodenreform anordneten.

Ein Jubiläum im Zwielicht
Am 11. September 1945 wurde die Durchführung der Bodenreform verordnet
Am 11. September begingen wir den 65. Jahrestag der Bodenreform in Sachsen. Ein Jubiläum im Zwielicht. Einerseits wurde durch diese Maßnahme den Umsiedlern, landarmen Bauern und Siedlern Boden zur Verfügung gestellt, damit der "Landhunger" gestillt. Die Umsiedler erhielten eine Existenzgrundlage und den Siedlern wurde eine Basis zur Ernährungssicherung ihrer Familie geschaffen. Zum anderen wurden die entschädigungslos Enteigneten mit großer Brutalität behandelt, die sich in geistiger und körperlicher Gewalt äußerte. Am oben genannten Tag erließ die Landesverwaltung Sachsen die Verordnung über die Durchführung der demokratischen Bodenreform.

Rückgang der Agrarproduktion
Durch den Befehl Nr. 110 der sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 26. Oktober 1945 wurde das Gesetz rechtskräftig. Die Durchführung der Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone war mit nicht zu rechtfertigenden Gewaltakten gegenüber den Betroffenen begleitet. Man veränderte die eigenen Gesetze willkürlich. Güter von Familienangehörigen wurden zusammengerechnet, um die notwendigen 100 Hektar zu erreichen. Unbescholtene Großbauern wurden durch Denunziation zu Naziaktivisten gemacht. Dies geschah besonders in Gebieten mit wenigen Rittergütern, beispielsweise im Altenburger Land. Ein bei Stalingrad gefallener Gefreiter erhielt den Status eines Kriegsverbrechers und die Hinterbliebenen wurden enteignet. Hitlergegnern aus Adelskreisen wurde keine Milde zu teil. Die Enteigneten mussten sich auf Sammelstellen zwecks Abtransport auf die Insel Rügen einfinden. Die Überführung von Zwangsarbeitern nach Sibirien kann nicht belegt werden. Andere Großgrundbesitzer wurden des Kreises verwiesen oder mussten sich mehr als zehn Kilometer entfernt von ihren Gütern aufhalten. Letztlich zogen sich die meisten Betroffenen in die Westzonen zurück. Mit der SPD spielte die KPD die Rolle des Vollstreckers der Bodenreform, natürlich mit der Rückendeckung der SAMD und der Roten Armee. Die Vertreter der neu gegründeten Parteien CDU und LPD (später LDPD) bemühten sich leider erfolglos um eine menschlichere Abwicklung der Reform. Sogar der Präsident der Provinz Sachsen - später Sachsen-Anhalt - Prof. Dr. Hübener ging in Einspruch. Ihm lag die Sicherung der Ernährung besonders am Herzen. Seine Bedenken erlangten grausame Wirklichkeit, indem die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nach dem Rückgang der Agrarproduktion um 25 bis 30 Prozent, verschuldet durch die Bodenreform, zusammenbrach. Hinzu kam noch eine extreme Witterung in den Jahren 1946/47. Im Land herrschte eine Hungersnot. Auch in der KPD gab es gemäßigte Kräfte. So sei es dem Spitzenfunktionär Edwin Hoernle zu verdanken, dass die Enteignungsgrenze bei 100 Hektar verlief und nicht - wie von den Sowjets eigentlich geplant - viel niedriger.Nach der Wiedervereinigung blieb die Bodenreform entsprechend des Einigungsvertrages bestehen. Beim Rückgängigmachen hätte man altes mit neuem Unrecht bezahlen müssen. Aber die Nachkommen der Alteigentümer wollten mit aller Macht eine Rückgabe ihres Eigentums erzwingen.

Vor Gericht gescheitert
Sie scheiterten 1991 vor dem Bundesverfassungsgericht und gingen nach einer unverantwortlichen Äußerung von Gorbatschow noch einmal nach Karlsruhe, um 1996 wiederum zu scheitern. Eine Kuriosität der deutschen Rechtsgeschichte. Die heutige Situation ist, dass die Nachkommen der Alteigentümer in einem gewissen Umfang entschädigt wurden und einige den Besitz zurück kauften. Bodenreformlandbesitzer, die vor 1990 mindestens zehn Jahre in der Landwirtschaft arbeiteten, behielten das Land als uneingeschränkte Eigentümer. Im Gegensatz zu DDR-Zeiten konnte es jetzt auch verkauft werden. Das Gleiche gilt auch für die kleinen Parzellen der Siedler. Allen übrigen Grundbesitz übernahm die Bodenverwertungs- und Verwaltungs GmbH (BVVG), die es weitgehend durch Verkauf privatisiert hat.
 

Entschädigungslos wurde der Grundbesitz enteignet von:  Nicht enteignet wurde der Grundbesitz von: 
Kriegsverbrechern
Kriegsschuldigen
Naziführern
Großgrundbesitzern über 100 Hektar

 

Versuchsgütern
Lehranstalten
Mustergütern
Saatgutwirtschaften
Tierzuchtbetrieben
Städten und Schulen
kirchlichen Einrichtungen

Im Kreis Grimma wurden 70 Güter enteignet
Während der Übernahme des Landes sollten die Glocken des gesamten Kreises läuten
Im Kreis Grimma - der damalige Kreis entsprach etwa dem späteren Muldentalkreis - wurden 70 Güter mit insgesamt 22 246,08 Hektar Grund und Boden enteignet. Die Fläche gliedert sich folgendermaßen auf: 14 110,54 Hektar Feld, 6184,41 Hektar Wald, 1026,13 Hektar sonstige Fläche (Hoffläche, Unland) und 925 Hektar für die Rote Armee. Die zur Verfügung stehenden 14110,54 Hektar Feld und 2220 Hektar Wald wurden an 256 landarme Bauern, 1029 Landarbeiter, 541 Umsiedler und 2281 Arbeiter aufgeteilt.
Von dem lebenden und toten Inventar der enteigneten Betriebe erhielten die Neubauern unter anderem 347 Pferde und 1499 Kühe und des weiteren 576 Pflüge. Die größeren Maschinen, so 105 Traktoren und 66 Dreschmaschinen, erhielt das Komitee der gegenseitigen Bauernhilfe. Dieses Komitee war der Vorläufer der Maschinenausleihstationen, später Maschinentraktorenstationen. Die Kreisbodenkommission Grimma ordnete an, dass am Sonntag, dem 14. Oktober 1945, 14 Uhr, an die landlosen und landarmen Bauern in einem feierlichen Akt der Boden zu übergeben ist.
Es sollte alles festlich hergerichtet werden, Musik und Gesang waren erwünscht, Kinderbelustigung und Dorftanz waren angesagt. Ein Kleinbauer sollte sprechen, während der Übernahme sollten die Glocken des gesamten Kreises läuten. In Altenhain sprachen der Vertreter der Bezirksleitung der KPD Grimma Genosse Liebing und der Bürgermeister Kurt Gey (gleichfalls KPD) von der Freitreppe des Schlosses zu den Neubauern und Siedlern.
Der Kinderchor und die Akkordeongruppe sorgten für die musikalische Ausgestaltung der Feier. Ein von der Gemeinde besorgter Imbiss vereinte alle zum frohen Mahl. Abends fanden sich Alt und Jung zum Tanz im Gasthof Schneiderheinze ein. Alle waren guter Dinge. Wer dachte da wohl an das Leid der Familie des enteigneten Rittergutsbesitzers.

Die Bodenreform in allen Besatzungszonen
 

 Sowjetisch besetzte Zone (SBZ) Amerikanisch besetzte Zone (ABZ) 
3,3 Millionen Hektar enteignete
Gesamtfläche. 
Davon 2,2 Millionen Hektar
an 560 000 Bewerber verteilt.
Zehn bis 90 Prozent der 100 Hektar
übersteigenden Flächen
(rund 25000 Hektar) wurden gegen Entschädigung enteignet,
konnten aber durch die alten Besitzer wieder gepachtet werden.
Britisch besetzte Zone (BBZ)  Französisch besetzte Zone (FBZ)
Kaum Enteignungen, sehr bescheidene Siedlungstätigkeit

 

Es blieb den Landesregierungen
überlassen, Betriebe über 150 Hektar
zu enteignen (was selten angewendet wurde), sehr bescheidene
Siedlungstätigkeit. 

Viele Altenhainer bewarben sich
"Kollektive Bewirtschaftung ist Sabotage an der Bodenreform"
In Altenhain stand das Rittergut - Besitzer Dietrich von Gontard - mit einer Gesamtfläche von 575 Hektar - davon 312 Hektar Ackerland, 72 Hektar Grünland und 171 Hektar Wald - zur Verfügung. Binnen einer kurzen Frist hatten sich interessierte Bürger im Gemeindeamt zu melden. Davon wurde reichlich Gebrauch gemacht, der Not gehorchend, ohne moralische Bedenken, bewarben sich viele Altenhainer um eine Neubauernstelle beziehungsweise ein Stück Land. Sachkenntnisse bezüglich der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung von Betrieb oder Parzelle forderte man nicht.
Dies führte in den späteren Jahren zu geringen Erträgen und zu häufigen Wechseln der Bauernstellen. Eine Versammlung von Altenhainer landlosen und landarmen Bauern sowie Umsiedlern - andere Personenkreise waren nicht zugelassen - wählte die Ortsbodenkommission. Sie bestand aus Josef Sedlaczek (landarmer Bauer), Georg Reinicke (Steinbrucharbeiter), Bruno Leipe (Umsiedler aus Schlesien), seit 27. Februar 1945 in Altenhain, und Max Peter (Steinbrucharbeiter), KPD und damit Vorsitzender der Kommission. Er war fachlich total überfordert.
Man bezeichnete ihn als "Parteisekretär". Er begnügte sich mit der Unterschriftsleistung. Die Hauptlast der Arbeiten lag auf den Schultern von Bruno Leipe. Außerhalb der Kommission übernahmen Willi Treller und Paul Westphal die Aufteilung des Waldes. Das Rittergut wurde ausschließlich an Bürger dieses Dorfes aufgeteilt, ausgenommen einer Fläche an der Gemarkungsgrenze, die Leipziger Siedler erhielten (heute Verein Sonnenblick). 42 Neubauern erhielten je 6,18 Hektar Ackerland, 0,82 Hektar Grünland, 20 Hektar Wald und etwa 60 Siedler bis 0,5 Hektar Boden.
Die neuen Eigentümer erhielten den Boden zwar schuldenfrei, hatten aber eine bestimmte Summe zu entrichten. Sie betrug in Sachsen entsprechend dem Wert einer Jahresernte Roggen (1000 bis 2000 Kilogramm pro Hektar je nach Bodenart). Der Betrag musste in einem Zeitraum von zehn bis 20 Jahren bezahlt werden. Das erste Jahr arbeiteten die Neubauern genossenschaftlich. Auch in anderen Gegenden wünschte man diese Wirtschaftsform. Es wurde nicht gestattet. Auszug aus einem Kongressprotokoll: "Jeder Versuch kollektiver oder genossenschaftlicher Bewirtschaftung ist eine Sabotage an der Bodenreform." Sieben Jahre später drängte man die Neubauern in die LPG.
 

Ein Wunschtraum der Pioniere der Bodenreform. 
Ab 1952 erfolgte der Zusammenschluss in LPGs.
Dieses Plakat wurde herausgegeben von Zentralkomitee 
der Kommunistischen Partei Deutschlands im Jahre 1945. 

Jeder neue Landbesitzer durch die Bodenreform erhielt eine solche Urkunde.

Texte und Repros: Gerd Misselwitz erschienen in LVZ Muldental 20. September 2010