Der Muldentalbahn-Radweg zieht sowohl aktive Freizeitradler,
aber auch Spaziergänger und Inline-Skater in Scharen an. Nutzen Sie
unsere geführten Radtouren mit Bernd Voigtländer, die in dieser
Saison unter dem Motto "Wir radeln durch's nahe Muldental" neu im Führungsangebot
sind.
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Bei der Eröffnung des Radweges
Quelle: grimma.de
Bahne frei! Jetzt sind die Radler am Zug
In loser Folge testen LVZ-Redakteure ausgewählte Rad- und Wanderwege im Landkreis Leipzig. Nachdem es bereits drei Serien aus dem Neuseenland gab, schwangen sich dieser Tage Haig Latchinian (Text) und Andreas Döring (Fotos) auf ihre Räder und erkundeten den Muldentalbahn-Radweg von Wurzen nach Grimma.
Hoi, heute mal radelnder statt rasender Reporter, scherzt
Gästeführer Wolfgang Ebert in der Wurzener Wenceslaigasse. Es
gehe nach Grimma, rufe ich ihm zu, über den Muldentalbahn-Radweg.
So, so. Er winkt mich ran, so viel Zeit müsse sein, zeigt mir auf
der prächtig verzierten Postmeilensäule den Vermerk: Grimma 3
St. 7/8. Keine Zeitstunden, sagt er: „Eine sächsische Stunde sind
4,531 Kilometer – da können Sie sich’s ausrechnen. Na, dann, ab die
Post. Aber hüten Sie sich vor den egoistischen Inlineskatern!“
Zunächst nirgendwo ein Hinweis auf den Radweg. Ich
folge den Schildern „Dehnitz“ und „Wachtelberg“. Auf der Straße,
etwa so glatt wie die Mondoberfläche, holpere ich an Villen vorbei
Richtung Landgasthof. Gut geschüttelt gibt’s von Altbauer Friedrich
Lehne den aktuellen Wetterbericht. Er muss es wissen. Auf seinem Hof hat
er 90 Schwalbennester. Seine Gertraud lässt mich nicht vorbei, ehe
ich einen Blick ins Bauernmuseum werfe. Wie einst Willi Schwabe führt
sie auf den Dachboden – alles andere als eine Rumpelkammer: Erntekrone,
Milchkontrollbücher und ein riesiger Schlitten. Den zogen früher
Lotti und Mori. Die Pferde wurden kriegsverpflichtet und fielen im „Polenfeldzug“.
Die Todesnachricht kam schriftlich.
Gertraud ist ein Star. Sie war die Allererste, die Weihnachten
2004 auf dem Muldentalbahn-Radweg fuhr. Jetzt gibt’s auch die ersten Wegweiser.
Am Gasthof geht es rechts runter, vorbei am Kriegerdenkmal und dann Richtung
Ortsausgang. Gerade erst in Tritt gekommen lockt auch schon die erste Bank.
Und was für eine! Ob Goethe hier seinen Osterspaziergang verfasst
hat? Der war ja mal in Wurzen. Der Blick ist fantastisch: Sanfte Hügel,
saftige Wiesen, grasende Schafe. Dazu die Mulde und die Grundmauern der
wüsten Kirche. Eine Tafel verrät: Einst war hier der Mittelpunkt
des Dorfes Söllnitz. Die Hussiten hätten es um 1430 zerstört.
Der Name Söllnitz lebt fort: Sirko Wedekind hat sein Ausflugsschiff
entsprechend getauft.
Eine scharfe Linkskurve führt zu „Karls Hütte“.
Einzig ein Papierkorb erinnert noch an das rustikale Häuschen aus
Robinienholz. Der langjährige Wurzener Bauhofleiter Karl Gehres hatte
sich damals für die Schutzhütte stark gemacht, weshalb man sie
nach ihm benannte. Nach wiederholtem Vandalismus musste sie inzwischen
abgebaut werden.
Weiter geht es, gegen die Strömung, gegen den Wind.
Die Landschaft ist offen, es gibt kaum Bäume, der Blick kann wandern.
Aber Vorsicht! Nicht träumen! Ab und zu stehen Poller in der Mitte
des Weges. Es soll schon etliche Zusammenstöße gegeben haben.
Bahne frei, Kartoffelbrei! Vor Nitzschka etliche frei laufende Personen.
Es sind Thomas Stamm, Volkmar Beier, Cornelia Langner und weitere Mitarbeiter
der Agentur für Arbeit, die sich an den Kirschen gütlich tun.
Damit es kein Leser in die falsche Kehle bekomme, stellen die mit Namensschildern
(hoch)dekorierten Wandersleut’ klar: „Wir machen hier weder Wandertag noch
Belustigung. Die Maßnahme dient allein dem betrieblichen Gesundheitsmanagement.“
Alles klar.
Der Weg verläuft kerzengerade. Der Asphalt ist derart
eben, dass ich dahingleite wie in einem ICE. Dabei erinnert nichts an eine
ehemalige Bahnstrecke. Bis ich ans Wohnhaus, früher wohl ein Bahnwärterhäuschen,
von Wilfried Eiding komme. Irgendjemand in Reichsbahnuniform sitzt in einem
mit DDR-Fahne geschmücktem Bretterverschlag. Ich rufe, keiner hört.
Es war nur eine Puppe. Keiner zu Hause. Schade, der Hausherr muss ein Eisenbahnfan
sein. Bahnhofsuhr, Signalanlage, an der Bank ist sogar ein guter alter
DR-Aschenbecher befestigt.
Großer Bahnhof in Neichen! Unweit der einstigen
Mitropa, in der Wirt Moritz Kauerhof einst seine legendäre Biberbrühe
an die Reisenden brachte, wirbt der örtliche Heimatverein mit Sitzgruppe
und Informationstafeln für Trebsen und Umgebung. Wie früher ist
Neichen auch heute eine Art Knotenpunkt: Hier kreuzt die Mulde-Elbe-Radroute,
hier hängen die Plakate fürs große Kinderfest, von hier
aus führt Original Bernd Fichtner auf Wunsch zum riesigen Bussard-Nest.
Mit dem 71-Jährigen ist gut Kirschen essen. Er hat derzeit immer welche
dabei. Nach dem Hagelschlag erst kürzlich müssten sie alle schnell
aufgefuttert werden. Fichtner liebt den Radweg: „Meine Frau, die Gisela,
ist Sportlerin. Sie radelt jeden Tag zweimal nach Grimma und einmal nach
Wurzen.“ Wahnsinn, platze ich heraus, die Rentner von heute! Wieso, fragt
Herr Fichtner. Es seien doch nur 40 Kilometer...
Eine Inlinerin kommt des Weges. Komisch, sie ist gar
nicht egoistisch. Sie grüßt sogar. Der Radweg ist die Leib-
und Magenroute von Jochen Rockstroh. Der Nerchauer Brauherr und Trebsener
Schlossherr war früher Kanurennsportler, hält sich heutzutage
mit Ausdauerlauf fit. Elf Sorten Biobier produziert er in seiner Brauerei,
sechs davon hat er im Schloss auf Lager. Ob auf Freisitz, Terrasse oder
im Hof – Radler gehörten bei ihm zum Stammpublikum. Es sei ja nur
ein kurzer Abstecher. Das Schankbier gehe gut, das habe nur drei Prozent,
sagt er. Klar, man könne das Bier auch zum Radler mixen, aber dafür
sei das Nerchauer zu schade, winkt Rockstroh ab.
Ab Bahnhof Nerchau wird es waldiger. Die Mulde, die lange
abgetaucht war, ist rechter Hand nun wieder ständiger Begleiter. Links
erhebt sich das felsige Steilufer, vorn spannt sich die lärmende Autobahnbrücke
übers Tal. Radrenner sollten nicht zu tollkühn sein: Wurzeln
brechen die Piste hie und da auf, es gibt Bodenwellen. Ab und zu ragen
auch Zweige in die Schneise. Ich folge dem Wegweiser Schmorditz und fahre
bis zur Straße. Dann sofort wieder rechts, und schon bin ich am reich
bepflanzten Italienergrab – ein absolutes Muss auf der Strecke. In den
letzten Kriegstagen fanden hier acht italienische Soldaten den Tod.
Wieder zurück auf dem Damm geht es vorbei an Loreley,
Feueresse und manchem Kilometerstein in Richtung Dorna. Für Claus
Woldt ist der Radweg ohnehin nur die Zielgerade einer noch viel längeren
Tour: Er kommt aus Merseburg und besucht seine Nichte Carolin in Schmorditz.
„150 Kilometer!“ Auch ich erreiche in der Aue vor Grimma die Zielgerade.
In der ehemaligen, inzwischen knallbunt bemalten Spitzenfabrik machen sich
junge Leute die Welt, wie sie ihnen gefällt: Der Verein für Jugendkulturen
und Zwischenmenschlichkeit verwandelt das Erdgeschoss in einen Veranstaltungsraum
– frei von Rassismus, Sexismus und Antisemitismus, wie Marco und Ruven
verraten. Ob Skater oder Sprayer – alle fühlen sich hier wohl. Es
gibt Grillplatz, Fußballfeld, Bühne, Gewächshaus, sogar
einen Badestrand. Für die Radfahrer steht eine Selbsthilfewerkstatt
zur Verfügung, genauso wie das Containercafé mit veganem Kuchen.
Kosten kann ich nicht, geöffnet ist nur an Wochenenden. Dafür
werde ich Zeuge einer nicht alltäglichen Aktion: Die beiden Jungs
mähen ein riesiges Peace-Zeichen in die Muldewiese: „Falls Google-Earth
drüber fliegt und Bilder schießt.“ An der Grimmaer Steinbrücke
schaue ich auf die Uhr: Ich hab’ tatsächlich 3 St. 7/8 gebraucht,
so wie es auf der Postmeilensäule in Wurzen steht. Eher Bummelzug
statt ICE.
Der Bahnradweg
Der Radweg verläuft auf der Trasse der ehemaligen
Muldentalbahn. Diese war ein Teilstück der alten Strecke von Glauchau
nach Wittenberg. Am 30. Juni 1877 wurde der Abschnitt Großbothen-Wurzen
für den Schienenverkehr freigegeben. Nach der Stilllegung der traditionsreichen
Strecke griff der damalige Wurzener Bürgermeister Gerald Lehne im
November 2002 die Idee eines Muldentalbahn-Radweges auf. Lehne fungierte
im Folgenden auch als Projektverantwortlicher. Im Januar 2003 starteten
die Grundstücksverhandlungen mit der Bahn AG, im Oktober unterzeichneten
Vertreter der fünf beteiligten Kommunen (Wurzen, Kühren-Burkartshain,
Trebsen, Nerchau und Grimma) sowie das Straßenbauamt Döbeln-Torgau
eine entsprechende Bauvereinbarung. Im Juli 2004 genehmigte das Regierungspräsidium
die Pläne, die Ausschreibung konnte starten. Erster Spatenstich war
im August 2004, Verkehrsfreigabe bereits im Dezember. Am 1. Mai 2005 weihte
der damalige Sächsische Staatsminister und Chef der Staatskanzlei
Hermann Winkler den Weg ein. Die Kosten beliefen sich auf 2,75 Millionen
Euro. Der Freistaat förderte das Projekt fast zu 100 Prozent. Seitdem
müssen Radler nicht mehr auf der engen, kurvenreichen und somit gefährlichen
Landstraße? fahren.
Hinweise
Wer mit dem Auto kommt, kann sein Fahrzeug in Wurzen
(noch) kostenlos auf dem Parkplatz am Crostigall, direkt gegenüber
vom Ringelnatzhaus, abstellen. Zwischen Grimma und Wurzen verkehrt Regionalbus
Leipzig mit zwei stündlichen Linien. Die Mitnahme des Fahrrads ist
jedoch nur nach Anmeldung beziehungsweise bei genügend Platz möglich.
Sowohl Grimma als auch Wurzen sind von Leipzig aus gut mit dem Zug erreichbar.
Eine direkte Zugverbindung zwischen beiden Städten existiert jedoch
nicht.
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Der Radweg von Wurzen bis Grimma ist rund 20 Kilometer lang. Da es sich nicht um einen Rundweg handelt, endet der Ausflug dann oder man muss zurückfahren. Wahlweise kann auch von Grimma gestartet werden. Unterwegs gibt es genügend Zu- und Abfahrten, so dass nicht die ganze Strecke bewältigt werden muss. An Wochenenden kann es mitunter voll werden. Achtung: Es sind auch Spaziergänger, Inlineskater, Radrennfahrer und Rollstuhlfahrer unterwegs. An kreuzenden Straßen unbedingt Vorfahrt beachten! Poller, die unter anderem verhindern, dass Autos auffahren, können bei Unachtsamkeit zur Gefahr werden! Mit lediglich 60 Höhenmetern eignet sich der Radweg auch bestens für Neueinsteige |
Gasthöfe
Gasthof „Zur Fähre“, Dehnitz : Dienstag bis Sonntag
ab 11 Uhr, Montag: Ruhetag.
Café im Landgut Nemt, Dehnitz : Montag und Dienstag
Ruhetag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 7 bis 14
Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr (ab Oktober Ruhetag).
Landgasthof Dehnitz: Montag bis Freitag ab 17 Uhr, Donnerstag
ist Ruhetag, Samstag und Sonntag ab 11 Uhr.
Schloßblick Trebsen: Montag bis Freitag 11 bis
22 Uhr, Samstag 11 bis 22 Uhr, Sonntag 11 bis 15 Uhr.
Schloss Trebsen: Freitag ab 17 Uhr, Samstag, Sonntag
und an Feier- sowie Brückentagen ab 11 Uhr.
Zum Anker, Trebsen: Montag und Dienstag Ruhetag, Mittwoch
bis Sonntag von 11 bis 14 Uhr Mittagstisch
Gasthof „Zur Loreley“, Bahren: täglich außer
Montag und Dienstag ab 17 Uhr, Samstag ab 11 und Sonntag ab 10 Uhr
LVZ Muldental 15. Juni 2018