Zwischen Hoffnung und Enttäuschung

vor 180 Jahren erwarb der Dichter Siegfried August Mahlmann
das Gut Obernitzschka

von Dagmar Schäfer unter: Literatur
vom Schaufenster am Wochenende 06.08.1994
eine Beilage der Muldental Zeitung (1991 - 1998)

Hier soll ein Dichter gelebt haben? Der Besucher des ehemaligen Rittergutes Obernitzschka oder besser dessen, was davon übrigblieb, kann es nicht glauben: Arg wenig Lyrisches liegt in der Luft und vor seinen Augen. Vom Herrenhaus, einem Barockbau aus dem Jahr 1704, 1947 als Steinbruch zur Errichtung von Neubauerngehöften freigegeben, blieben gerade mal ein paar Grundmauern und verstreute Reste abgebrochenen Gesteins. Das barocke Wohnstallhaus, noch immer zur Tierhaltung genutzt und sehr sanierungsbedürftig, verbreitet Stimmung vergehender Schönheit, die keiner wahrnimmt, begreift oder achte! Der Gutspark liegt verwahrlost, kaum, daß man ihn erahnt zwischen prächtigen Bäumen verstecken sich Mauerreste, die den Blick über die weite, reizvolle Muldenlandschaft freigeben. Neben Gesteinsquadern winden sich die Überbleibsel einer Treppe: Wohin führt sie? Auf einem Sockel reckt sich ein Holunderbusch, zu Füßen umspült von äuberlich gezogenen Kartoffelfurchen - stand hier einst die Gedenktafel für Siegfried August Mahlmann, den sächsischen Dichter und Publizisten, Freimaurer und Gelehrten?
Im Festungsgefängnis Erfurt
Das Jahr 1813 setzt Mahlmann hart zu. Am 31. März rücken russische Truppen in Leipzig ein, stellen die von Mahlmann geleitete "Leipziger Zeitung" sofort unter Zensur. Mahlmann wird zum kaiserlich - russischen Adjutanten von Orloff beschieden, der ihm eröffnet, daß die Zeitung von nun ab unter seinen Befehlen stehe. Mahlmann ist nicht unglücklich darüber, daß die französische Herrschafft über die Zeitung vorbei zu sein scheint. Im April bringt die „Leipziger Zeitung" fast täglich Aufrufe an die sächsische Bevölkerung, sich den Verbündeten anzuschließen. Doch dann wendet sich das Blatt: Napoleon siegt Anfang Mai bei Lützen, die Franzosen ziehen wieder in Leipzig ein. Eilig verläßt Mahlmann die Stadt, wagt sich erst zurück, als der sächsische König wieder in Dresden eintrifft. Zwar ist er den Franzosen ganz gefügig, diese aber warten nur darauf, ihm seinen Abfall zu vergelten. Eine harmlose, nebensächliche Anzeige dient als Vorwand, Mahlmann antifranzösische Gesinnung vorzuwerfen. Am 24. Juni 1813 wird er ins Festungsgefängnis Erfurt abgeführt. „Frech, mit Desopten Gewalt, ohn' Untersuchung und Recht", dichtet er später. An die Kerkerwände findet er einige seiner Gedichte geschrieben und holt sich neuen Mut. Als man ihm aber mitteilt, daß er bis zum Ende des Krieges seiner Freiheit beraubt bleiben soll, ist er dieser Last nicht gewachsen. Völlig zusammengebrochen schreibt er: „Meine Gesundheit erliegt, ich fühle mich krank der tiefste Kummer und Schmerz verzehrt meine Kräfte ... Nur baldige Hilfe kann mich retten... "Mahlmanns Frau gelingt es, am sächsischen Hof die Freilassung zu erwirken, am 2. Juli öffnet ihm der Kommandant das Gefängnis, Mahlmann kehrt nach Leipzig zurück. Doch seine Lage bleibt unsicher. Von nun an überwacht ein französischer Agent, was in der „Leipziger Zeitung" erscheint Die Schlacht bei Leipzig ändert wiederum altes: Die russisch - preußischen Zensoren kehren zurück. Doch Mahlmann schwelgt viel zu sehr in der Freude über Napoleons Niederlage, um den neuen Druck so schnell zu spüren. Doch Mahlmanns Freude währt nicht lange. 1814 beginnt der Wiener Kongreß, bald schon kommt die Nachricht, Sachsen werde geteilt. Mahlmann ist empört und wie vernichtet. Den jährlichen Festversammlungen zum Jahrestag der Völkerschlacht bleibt er von nun an fern. Wieder einmal sind seine Hoffnungen zerstört. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - Mahlmann sieht sie ins Grab gesunken:

„Selig die Toten! Sie ruhen und rasten/Von quälenden Sorgen, von drückenden lasten,/Vom Joche der Welt und der Tyrannei/Das Grab, das Grab macht allein uns Frei. Ueber der Erde, da wallten die Sorgen, Im Schoße der Mutter ist jeder geborgen“!/O Nacht des Totes, du bettest weich!/Das Grab, das Grab macht allein uns gleich.“

Sehnsucht nach ländlicher Ruhe
Als politischer Publizist in aufgeregten Zeilen stets an gefährdeter Stelle stehend, müde und enttäuscht vom ewigen Auf und Ab der politischen Ereignisse, erschöpft vom ständigen Zwang, sich den Lebensunterhalt erschreiben zu müssen, sehnt sich Mahlmann nach Ruhe, nach ländlicher Abgeschiedenheit Leipzig, die Stadt die mit seinem Schaffen untrennbar verknüpft ist, hat er satt. Harte Worte findet er Hier brenne kein anderer Altar als der des Eigennutzes, hier herrsche kein anderer Gott als der der Diebe und Kaufleute. Stets hat Mahlmann in Leipzig zwischen Hoffnung und Enttäuschung gelebt. Hierher kam er als 18jähriger, froh, der engherzigen
Internatserziehung in der Grimmaer Fürstenschule entronnen zu sein. hier begeisterte er sich als Student der Rechtswissenschaften voller Leidenschaft und Freiheitsdurst für die französische Revolution. Hier in Leipzig erhob er, der Bürgerliche, seine Stimme gegen das leichtfertige Leben an den Höfen, gegen die konservativ- bürokratische Selbstverwaltung, ja gegen die Fürsten und die Monarchie selbst Noch als herzoglich – gothaischer und königlich - sächsischer Hofrat verhöhnte Mahlmann mit Bürgerstolz Adel und Hofleute. Frank und frei sagte er seine Meinung - als freisinniger, demokratisch fühlender Mann. Hier in Leipzig begrüßte er den Einmarsch der französischen Truppen, hier bejubelte er 1806 Napoleon als ersehnten Friedensbringer und Erfüller des Humanitätsideals. Nach dem Friedensvertrag von Tilsit, der Sachsen zum Königreich erhob und mit dem Herzogtum Warschau verband, Preußen aber seiner Vormachtsstellung beraubte, dichtete Mahlmann begeistert:

„Da kam der Held, vor dem Sich Völker beugen,/ Dem Gott Europas Zepter gab,/ Er kam und sah – und alle Donner schwiegen/Und aller Völker Macht zersteubt!/ Der Sieg ist ihm getreu, der seine Bahnen brach,/Vor ihm geht Schrecken her, doch Großmut folgt ihm nach“

Hier in Leipzig fühlte er sich als sächsischer Weltbürger, leitete in diesem Sinne zunächst die „Zeitung für die elegante Welt", später die „Leipziger Zeitung". Doch dann setzte seine Enttäuschung ein: Mahlmann spürte die französische Despotie.

Letztes Ziel: Obernitzschka
Leipzig, die Stätte seiner Hoffnungen und Enttäuschungen, will Mahlmann nun verlassen. 1814 kauft er das Gut Obernitzschka, malerisch an der Mulde zwischen Grimma und Wurzen gelegen. 43 Jahre ist er erst alt, und doch neigt sich sein Leben bereits. Noch einmal setzt er sich ein Ziel, verwaltet mit Umsicht und Sorgfalt sein Gut, treibt mit geradezu jugendlichem Eifer Naturkunde, Physik, Chemie und Astronomie. Noch einmal hört er Vorlesungen an der Leipziger Universität, tragt eine wertvolle Sammlung astronomischer und physikalischer Instrumente zusammen. Seine literarische Tätigkeit ruht nun fast vollständig, nach Leipzig kommt er kaum noch. Er sucht seine Ruhe nur noch in den Wissenschaften. Aber er findet sie nicht Sein athletischer Körper, scheinbar wie geschaffen, jede Last spielend zu tragen, beginnt er zu kränkeln. Die Folgen eines Sturzes vom Pferd beschleunigen den Verfall. Als ob Mahlmann seinen nahen Tod ahnt, gibt er 1825 seine
gesammelten Gedichte heraus. Am 17.Dezember 1826 stirbt er, erst 55jährig und wird auf dem Alten Johannisfriedhof in Leipzig begraben
Wer kennt Mahlmann?
Freilich, Überragendes hat er nicht geschaffen. Als Typus eines gebildeten Sachsen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, als Kosmopolit und Kriegsgegner aber hat er wohl Erinnerung verdient, ganz im Sinne seiner eigenen Worte: „Wer geendet im edlen Bestreben, verdient im Herzen der Nachwelt zu leben!" In Nitzschka ist von dieser Erinnerung heute nichts zu spüren. Wer im Gut zwischen Dunghaufen, Schrottplatz und Unkrautgarten wandelt, der begreift: Nicht nur fehlende Mittel bedrohen Kultur - Vergessen und Gleichgültigkeit mindestens ebenso.
 
 

Siegfried August Mahlmann (1771 - 1826)

Bild rechts Das Herrenhaus Obernitzschka oder besser: 
Das was davon übrigblieb. Foto: Schäfer



In alten Schriften geblättert

August Mahlmann (1771 – 1826)

ein Patriot des Wurzener Landes, lebte lange Jahre in Nitzschka. Er war ein mutiger Kämpfer gegen die französischen Unterdrücker. Als Herausgeber und Redakteur des „Intelligenzblattes der Zeitung für die elegante Welt" brachte er offen und versteckt seinen Widerwillen gegen die Franzosen zum Ausdruck. Im Jahre 1813 wurde er dafür einmal für kurze Zeit in Gefängnishaft genommen (siehe LVZ [Kreis Wurzen] vom 6. Juli 1956).
Der Ausgabe vom 6. Januar 1810 seiner Schrift entnehmen wir nachfolgenden interessanten Beitrag, worin Mahlmann die „Zuckerfabrikation aus Runkelrüben" aufs stärkste befürwortet, um dadurch den verteuerten Zuckerimport einzuschränken.
„An Patrioten!
Bei dem immer höher steigenden Preise des westindischen Zuckers, ist es Sache des Patrioten, Staats- und Landwirths, alles zu thun, um eine Unternehmung zu begünstigen, welche ganz dazu geeignet ist, durch Ihre großen Vorteile, die darauf gewandten Kosten und Bemühungen zu belohnen. Dieß ist die europäische Zuckerfabrikation aus Runkelrüben, welche in dem kürzlich erschienenen Werke: „Die europäische Zuckerfabrikation aus Runkelrüben, in Verbindung mit der des Branteweins, Rum's, Essigs, Kaffee’s u.s.w. aus ihren Abfällen besichrieben und durch Kupser erläutert von F. Achard, Direktor der Berl. Akademie, 3 Theile in gr. 4to. Leipzig, bei J. C. Hinrichs, 6 Thaler", so vollständig als gründlich beschrieben, und durch zehn große Fol. Kupfertafeln erläutert sind, daß man weiter nichts wünschen darf, als eine durchgängige Beherzigung der Wichtigkeit dieses Werkes, und Nachahmung derer, welche nach Anleitung desselben die Zuckerfabrikation aus Runkelrüben mit dem besten Erfolg im Großem eingeführt haben, als der Freiherr von Lorenz bei Wurzen, und der Major von Koppy auf seinen Gütern in Schlesien, welcher über 20 000 Centner fabricieren läßt; wo sich aus den Versuchen ergibt, daß der feinste Zucker zu allen Zeiten das Pfund um 6 Gr. gegeben werden, und folglich mit den westindischen, wenn er auch noch so wohlfeil ist, Preis halten kann. Die Abfälle sind überdies noch zur Fabrikation des Rums, Branteweins, Essigs, so wie zur Viehzucht, Dünger u.s.w. vortrefflich zu benutzen. Proben von Runkelrüben-Roh-Candis und raffinirten Zucker, ingleichen Syrup, Rum, Essig, Tabak, Caffee u.s.w. sind bei dem Verleger des Werks J. C. Hinrichs in Leipzig, in Augenschein zu nehmen, und werden bei direkter Verwendung mit 6 Thaler baar mit dem Werke zugleich verabfolgt,. Man fordert daher alle Patrioten zur Unterstützung dieser Unternehmung auf, und gibt ihnen zu bedenken, welche Summe durch die Kultur dieses Produktes dem Lande erspart, und zum anderweitigen Besten verwendet werden können!"

aus Rundblick 1. und 15. August 1956 Nr.: 15/16 3. Jahrgang Doppelheft


Siegfried August Mahlmann

Vor einem Jahr wurde in den „Sächsischen Gedenktagen" dieses Mannes, der am 13. Mai 1771 in Leipzig geboren wurde und am 16. Dezember 1826 ebenda starb, anläßlich seines 150. Todestages gedacht. 
Heute kann ein Bild des Schriftstellers gebracht werden. Bilder von Mahlmann sind selten. 
Das hier gezeigte findet sich als Stahlstich im „Neuer Nekrolog der Deutschen", IV. Jahrgang, 1826, l. Teil, Ilmenau, Bernhard Fr. Voigt, 1828. Die Wiedergabe zeigt die Originalgröße des Stichs. Mahlmann war Jurist. 
Nach längeren Reisen in seine Vaterstadt zurückgekehrt, übernahm er von 1805 bis 1816 die Redaktion der „Zeitung für die elegante Welt". 1810 erhielt er die Pacht und Administration der „Leipziger Zeitung", die er 1818 aufgab, um sich auf seine ländlichen Besitzungen zurückzuziehen. 
Er verfaßte „Erzählungen und Märchen", auch geistliche Lieder. Zu seinen dramatischen Dichtungen gehörten die Parodie „Herodes von Bethlehem" ferner die Lustspiele „Der Geburtstag" und die „Liebesproben". Viele seiner Lieder sind vertont worden, so auch das „Abendlied an Minna", in dem es heißt:

„Wie hängt die Nacht voll Welten! Wie glänzt der Abendstern, 
Als säh' er Menschenfreuden und Menschenruhe gern. 
Ach Minna, der den Stern gemacht, der hat auch mein und dein gedacht 
und wird uns nie vergessen.

Er blickt mit Vaterliebe aus diesem Sonnenmeer, 
Im Flimmern goldner Sterne auf seine Kinder her; 
Und wo auf seiner schönen Welt des Kummers Träne niederfällt, 
Da gibt er Trost und Frieden"

und so weiter.



Foto aufgenommen am 16. Mai 2008 auf dem alten Johannisfriedhof in Leipzig
das Grab befindet sich an der Rückwand zur Gutenbergschule und HTWK Leipzig

der alte Johannisfriedhof befindet sich hinter dem Grassimuseum
und dem Straßendreieck Prager Straße; Täubchenweg; Gutenbergplatz

Garbinnenschrift

Siegfried August Mahlmann

Schriftsteller, Verleger.
1793 Hofmeister in Riga
1805 Redakteur der "Zeitung für die Elegante Welt"
1810 Leiter "Der Leipziger Zeitung"

hatte das Schloss Nitzschka von 1814 - 1826 seinem Todesjahr inne

durch Verheiratung seiner Tochter
ging es an Baron von Lorenz auf Burkartshain über bis 1858
(siehe Grabinnenschrift)

Sonstiges:

um 1853 war Wilhelm Knauf (1795 - 1860) Förster auf dem Rittergut Mahlmann in Obernitzschka
Quelle: Familienverband Knauff,f,ft e,V.

siehe auch unter Personen Mahlmann