Wurzener Stadtverwaltung hatte den Termin schlichtweg vergessen
Nemt. Der Pfarrer Martin Carlitz nimmt seinen Talar und verlässt
die Gemeinde. Nicht freiwillig. Das war am Sonntagnachmittag den Kirchgängern
aus Nemt, Burkartshain und Nitzschka, Menschen aus Orten, denen er bislang
als Seelsorger diente; ein Verabschiedungsgottesdienst wert.
Posaunentöne und hauseigene Musik begleiteten seinen letzten dienstlichen
Gang durch das Gotteshaus. Einen alten Pfarrer wollte einst bei seinem
Amtsantritt das Gemeindevolk. Carlitz meinte schmunzelnd dazu in seiner
an biblischen Gleichnissen reichen Predigt: „Das wird noch." 22 Jahre hielt
er seiner Gemeinde die Treue und sie ihm, das halbe bisherige Leben des
Theologen. Statistisch gesehen rangiert Carlitz in Nemt als 25. und in
Burkartshain als 30. Pfarrer seit der Reformation. Nun bereitete dem 48-Jährigen
die Pfarrerstellenreduzierung in der sächsischen Landeskirche die
letzte Predigt vor einem vertrautem Kreis, in dem er geachtet und beliebt
war. Einer der Kirchenvorstände brachte es in seinen Dankesworten
auf den Punkt: „Wir verabschieden unseren Pfarrer nicht in schlimmen Zeiten,
sondern in einer Wohlstandsgesellschaft." Aus seiner anfänglichen
Enttäuschung machte Martin Carlitz auch keinen Hehl. „Am liebsten
hätte ich die von uns gepflanzten Lutherbäume wieder abgesagt."
Doch für den Prediger ergibt sich in Thallwitz eine neue Chance: Dort
habe er auch schon wieder über die Bildung eines Bläserquintetts
nachgedacht. Im letzten Moment hatte Martin Carlitz noch die Restaurierung
des Kirchturmes richten lassen. So wurde der Gottesdienst auch zu einem
Turmfest. Dann kam die Gemeinde auf Leistungen des Pfarrers nicht nur beim
Gottesdienst, sondern auch beim anschließenden Kaffee trinken zu
sprechen. Er habe sich als Versöhner und Botschafter an Christi statt
auf den Weg gemacht, wie es Superintendent Christoph Richter aus dem Kirchenbezirk
Grimma beim Dank an das Ehepaar Carlitz ausdrückte. Den Menschen gefiel
Carlitz Zivilcourage und Moderation in der Wendezeit. Wir Pfarrer galten
damals als Autorität." Bleibendes leistete er als Hobbyhistoriker
und Denkmalpfleger; im Kreis erwarb er sich in zwei Legislaturperioden
als CDU-Kreisrat einen Namen. Der Lotse Gottes ging in Nemt von Bord, in
Thallwitz kann man sich nur auf den Bootsmann freuen. Als Ansprechpartner
für die Nemter, Bur-kartshainer und Nitzschkaer Christen stellte sich
schon mal Pfarrer Reinhard Schöne vor, denn Kühren-Sachsendorf
und Wurzen bilden von nun an die Schwestergemeinden. Bürgermeister
Jörg Grundig saß brav mit seinem Gesangbuch in den vollbesetzten
Reihen. In der Wurzener Stadtverwaltung hatte man wohl den Termin schlicht
und ergreifend verbummelt. HRB

Die letzte Predigt vor seiner Gemeinde: Pfarrer Martin Carlitz. Foto: Klaus Peschel
LVZ Wurzen 16. Mai 2000